Hohe Diversität im Expertengremium anstatt Parteisoldaten in der Gerichtskommission!

Andreas Caroni, Ständerat und Präsident der Gerichtskommission, stellt in seinem Artikel „Nein zum Würfelbecher“ in der Weltwoche 46.21 starke Behauptungen auf.

Die Schweizer Justiz sei unabhängig. Ist unabhängig, wer nur eine Chance für das Richteramt hat, der Mitglied einer Partei ist? Genauer, der Partei, deren Sitz gerade frei wird? Zwar können alle Kandidaten dieser Partei beitreten – und manche haben das auch flugs getan, wenn ein von einer bestimmten Partei zu besetzender Posten frei wurde. Aber sind das die bestmöglichen und vor allem unabhängige Kandidaten? Die dann auch noch brav diese Partei mit einem Teil ihres Gehaltes finanzieren? Seit 1953 ist kein parteiloser Richter gewählt worden. Ist unabhängig, wer zu Parteianlässen erscheinen und sich sagen lassen muss, welches Urteil der Parteilinie entspricht, weil es sonst Probleme bei der Wiederwahl gäbe? Faktisch bestimmen die Parteien nach Parteiproporz, wer bei uns Richter wird, und das in einem intransparenten Verfahren in der Gerichtskommission. Nach Auskunft eines Insiders, des SVP-Nationalrates und ehemaligen Mitgliedes der Gerichtskommission, Lukas Reimann, geht es dabei in allererster Linie um die politische Haltung. Die Gewaltentrennung zwischen Legislative und Judikative bleibt dabei auf der Strecke. 

Die Schweizer Bevölkerung habe Vertrauen in die Justiz. Solche Umfrageergebnisse gab es. Die gleichen Umfrageergebnisse zeigen aber auch, dass das Vertrauen in die Parteien auf einem Tiefstand ist. Wie viele Schweizer wussten bei der Umfrage vor der Justizinitiative, wie abhängig Richter von den Parteien sind?

Das Parlament sorge dafür, dass die Werthaltungen der Bevölkerung transparent und ausgewogen abgebildet werden. Wo ist die Transparenz bei denjenigen, die – falls nötig – rechtzeitig in die „richtige“ Partei eintreten und auch schon mal wechseln, wenn erforderlich? Und was hilft die Transparenz, so vorhanden, dem einzelnen Rechtssuchenden? Jeder Entscheid ist ein Einzelentscheid. Eine vielfältige, durch Los ausgewählte Richterschaft hilft einem Rechtssuchenden viel mehr, als wenn er oder sie die Parteimitgliedschaft des Richters kennt. Einem parteiunabhängigen Richter dürfte bei der Auslegung der rechtlichen Spielräume viel mehr Vertrauen entgegengebracht werden als einem Richter, dessen Parteizugehörigkeit bestimmte Werthaltungen von vornherein signalisiert. 

Und bildet die Parteizugehörigkeit die Werthaltungen der Bevölkerung tatsächlich ausgewogen ab? Nur 5 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung sind in einer Partei. Etwa 30 Prozent sind mehr oder weniger einer Partei treu. Es ist kaum anzunehmen, dass diese Minderheit von Parteimitgliedern oder Parteizugewandten so unterschiedliche Dimensionen wie Geschlecht, Migrationshintergrund, Stadt-Land-Wohnort, Einkommen,Vermögen oder sexuelle Orientierung „ausgewogen“ repräsentiert. Diese Dimensionen beeinflussen die Werthaltungen nicht weniger als die Parteizugehörigkeit. 

Die Fachkommission sei ein technokratisches Gremium, dessen Werthaltungen man nicht kenne. Die Expertenkommission soll interdisziplinär zusammengesetzt sein. Sie kann auch Parteimitglieder enthalten, aber eben nicht nur Parteimitglieder. Die Chance auf eine echte Ausgewogenheit ist damit viel grösser als bei der derzeitigen Gerichtskommission, in der nur Parteisoldaten vertreten sind. Deshalb ist für das Expertengremium eine hohe Diversität der Werthaltungen zu erwarten. Diese erübrigt es, die einzelnen Werthaltungen zu identifizieren. Für die Zusammensetzung der Expertenkommission ist  im Übrigen der – demokratisch zustande gekommene – Bundesrat verantwortlich.

Caroni erschaudert beim Gedanken, dass man sich der Expertenkommission andienen müsse, um in den Lostopf zu kommen. Das Andienen bei der gegenwärtigen Gerichtskommission – die anders als die vorgesehene Expertenkommission abschliessend über die Postenbesetzung unter Parteimitgliedern entscheidet – löst bei ihm seltsamerweise kein Schaudern aus. 

Wie empirische Befunde gezeigt haben, bewerben sich bei Ankündigung eines Losverfahrens mehr und vielfältigere leistungsstarke Aussenseiter, die im jetzigen Verfahren kaum eine Chance haben. Eine wie immer zusammengesetzte Expertenkommission wird dieser Vielfalt Rechnung tragen müssen. Ausserdem verhindert nichts besser als das Los das Geschachere um Posten, welches unweigerlich auftritt, wenn es um das Ausmarchen von Positionen im Parteienproporz geht. 

Die Fachkommission könnte sogar nur eine Person pro Sitz in den Lostopf kommen lassen. Der Gesetzgeber ist beauftragt, die Regeln für die Arbeit der Expertenkommission vorzugeben. Dazu müsste zum Beispiel gehören, dass je freiwerdender Position eine fixe Anzahl von Kandidierenden bestimmt wird. Damit können die von Caroni unterstellte Manipulation leicht verhindert werden. Bei der Anwendung des Losverfahrens für den kleinen Rat in Basel im 18.Jh hat sich gezeigt, dass es mindestens sechs Kandidierende pro Position sein sollten: Die „Wahl zu Sechsen“ hat viel mehr Aussenseiter von ausserhalb des „Daigs” in den kleinen Rat gebracht als die „Wahl zu Dreyen“.

Und schliesslich das unsinnige Motto „Demokratie statt Lotterie“. Von einem Ständerat könnte man erwarten, dass ihm die Stellungnahmen von Geistesgrössen wie Jean Jaques Rousseau und Montesquieu (dem Begründer des modernen Rechtsstaates) bekannt sind, welche nur das Los als wahrhaft demokratisch bezeichnet haben.

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